(21.11.2018) In einer multikulturellen Gesellschaft ist der interreligiöse Dialog unverzichtbar, denn er befördert das gegenseitige Verstehen und stellt das gesellschaftliche Miteinander auf eine breitere Basis. Dies unterstrichen die Referentinnen und Referenten einer Tagung des interreligiösen Projektes „Weißt du, wer ich bin?“ vom 19.-20. November im Jüdischen Gemeindezentrum in Frankfurt am Main. Gerade bei den zunehmenden Konflikten und zunehmenden nationalistischen und fundamentalistischen Tendenzen müssten die Bemühungen im interreligiösen Dialog verstärkt werden.
In diesem Zusammenhang unterstrich Heiner Bielefeldt, Professor für Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg, die Bedeutung der Menschenrechte. „Die Menschenrechte sind als Praxis des Hinhörens und des gegenseitigen Respekts zu verstehen“, sagte Bielefeldt. Wo die Menschenrechte geachtet würden, führe dies automatisch zu einer vielfältigen und pluralen Gesellschaft. Dies fokussiere das gesellschaftliche Miteinander auf die Menschen: „Durch die Menschenrechte werden keine Dogmen oder Religionen, sondern die Menschen in ihren Rechten und Freiheiten geschützt.“ Bielefeldt warnte gleichzeitig davor, die Menschenrechte zu einer „Quasireligion“ zu machen oder ihnen den Status eines allgemeinen Ethos zu verleihen. Die Konzentration auf die Menschenrechte im interreligiösen Dialog führe dazu, „die eigenen Überzeugungen stets auf den Prüfstand zu stellen“. Gemeinsam hätten die Religionen die Aufgabe, die Menschenrechte gegen politische Ansprüche und andere Interessen zu verteidigen. Eine interkulturelle Öffnung führe dazu, dass die Menschenrechte breit ihre Wirkung entfalten könnten.
Religiöse Identität stabilisiert die Menschen
Die eigene religiöse Identität könne dabei helfen, Menschen zu stabilisieren und ihnen Orientierung auch im gesellschaftlichen Miteinander zu geben. Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik (Berlin) plädierte dafür, einen von der geographischen Herkunft abgelösten Begriff von Heimat zu finden: „Heimat als territorialer, sozialer und geistiger Ort respektierter Verschiedenheit.“ Dabei nehme die Religion eine wichtige Rolle ein. „Die Sichtbarkeit von Religion kann Heimat stiften“, sagte Brumlik. Jugendliche hätten eine große Sehnsucht nach religiöser Verortung, zeigte die Politikwissenschaftlerin Meltem Kulacatan (Frankfurt a.M.) als Ergebnis ihrer Forschungen auf. Daher bleibe die Beschäftigung sowie kritische Auseinandersetzung mit der Religion ein wesentlicher Faktor für die Integration. Der interreligiöse Dialog helfe dabei, Fundamentalismen zu vermeiden, unterstrich Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter der Landesregierung in Baden-Württemberg. Gerade die Begegnungen zwischen Juden und muslimischen Geflüchteten, wie sie auch in Projekten im Rahmen von „Weißt du, wer ich bin?“ organisiert werden, könnten dabei helfen, antisemitischen Haltungen vorzubeugen. Die Religionswissenschaftlerin Gritt Klinkhammer (Bremen) machte deutlich, dass für den Dialog auch Zielsetzungen wichtig seien, die über das reine Kennenlernen hinausgehen. Der Dialog dürfe nicht nur von engagierten Einzelpersonen geführt werden, sondern solle in allen Strukturen der Religionsgemeinschaften verankert werden.
Der Staat braucht den Dialog mit den Religionsgemeinschaften
Aus diesen Gründen bestehe auch von staatlicher Seite weiterhin großes Interesse am Dialog mit den Religionsgemeinschaften, sagte Michael Blume. Zudem sei die wichtige Stellung der Religionsgemeinschaften gesetzlich verankert. Abraham Lehrer, stellvertretender Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, plädierte dafür, zwischen den Religionsgemeinschaften noch mehr Kooperationen zu finden. Dabei könne man von den Erfahrungen der ökumenischen Bewegung profitieren, sagte Bischöfin Rosemarie Wenner, stellvertretende Vorsitzende der ACK in Deutschland. In der Ökumene habe man gelernt, trotz unterschiedlicher Auffassungen und Interpretationen eine gemeinsame tragende Basis zu finden und in einer positiven Atmosphäre auch kritische Punkte zu besprechen. „Wir brauchen den Dialog“, unterstrich Erol Pürlü, Sprecher des Koordinierungsrates der Muslime. Auch in schwierigen und kritischen Phasen dürfe man in den Dialogbemühungen nicht nachlassen. Angesichts vieler negativer gesellschaftlicher Entwicklungen wie Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus müssten die Religionsgemeinschaften noch intensiver aufeinander zugehen, so die Vertreter der Religionsgemeinschaften.
Positive Erfahrungen bei Projekten an der Basis
In der interreligiösen Praxis zeige sich, dass die Begegnung zwischen Menschen unterschiedlicher Religion ein wesentlicher Faktor für ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft ist. Mehrere Projekte, die mit Fördergeldern des Projektes „Weißt du, wer ich bin?“ gefördert wurden, präsentierten ihre Erfahrungen auf der Tagung. Gerade in der Arbeit mit jungen Geflüchteten helfe die Begegnung mit Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften sehr weiter, um beispielsweise diffusen antisemitischen Vorurteilen entgegenzutreten. Aber auch die Wissensvermittlung oder der Austausch von spirituellen Erfahrungen trage wesentlich zum gegenseitigen Verstehen bei.
Mit dem interreligiösen Projekt „Weißt du, wer ich bin?“ werden christliche, jüdische und muslimische Gemeinden dazu ermutigt, sich gemeinsam für ein friedliches Miteinander einzusetzen. Die Religionsgemeinschaften leisten mit dem Projekt einen Beitrag zur interreligiösen Verständigung, zur Integration von Geflüchteten und fördern den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland. Das Projekt wird vom Bundesministerium des Innern, für Heimat und Bau gefördert und von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, dem Zentralrat der Juden in Deutschland, dem Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, der Türkisch-Islamischen Union (DITIB), dem Verband Islamischer Kulturzentren und dem Zentralrat der Muslime in Deutschland getragen.